Was ist FASD?

FASD steht für Fetal Alco­hol Spec­trum Dis­or­ders (Fetale Alko­hol­spek­trums­tö­run­gen) und ist die am wenigs­ten erkannte geis­tige und kör­per­li­che Behin­de­rung. Sie tritt auf, wenn Frauen wäh­rend der Schwan­ger­schaft Alko­hol trin­ken. Es gibt dabei keine sichere Menge. Auch das ver­meint­lich den Kreis­lauf anre­gende Gläs­chen Sekt kann schon schäd­lich sein.

Der toxi­sche Alko­hol gelangt über die Nabel­schnur zum Unge­bo­re­nen und kann die Organ­bil­dung, aber vor allem die Ent­wick­lung des zen­tra­len Ner­ven­sys­tems schä­di­gen. Das äußert sich in ange­bo­re­nen orga­ni­schen Fehl­bil­dun­gen, Dys­mor­phyen des Gesichts, geis­ti­gen Behin­de­run­gen, Entwicklungs- und Wachs­tums­stö­run­gen und kogni­ti­ven Defi­zi­ten. Außer­dem einer Viel­zahl von Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten, die oft mit ande­ren Stö­run­gen ver­wech­selt wer­den: bei­spiels­weise dis­so­zia­les Ver­hal­ten, ADHS oder autis­ti­schen Züge.

Im Jugendlichen- und Erwach­se­nen­al­ter kom­men oft psy­chi­sche Stö­run­gen hinzu, von denen nicht geklärt ist, inwie­weit sie eigen­stän­dig ent­stan­den wären, oder kom­or­bid sind, das heißt auf­grund der hirn­or­ga­ni­schen Beein­träch­ti­gun­gen durch FASD ent­stan­den sind.

Häu­fig­keit von FASD

Jähr­lich wer­den rund 10.000 Kin­der mit FASD gebo­ren, so eine Schät­zung der Dro­gen­be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung. Eine im Fach­ma­ga­zin BMC Medi­cine im März 2019 ver­öf­fentli­che­ten Stu­die nennt für das Jahr 2014 in Deutsch­land eine hoch­ge­rech­nete Zif­fer von 2.930 Babys mit FAS und 12.650 Neu­ge­bo­rene mit FASD. 

Nach Anga­ben des Robert-Koch-Instituts ist FASD in Deutsch­land mit im Durch­schnitt einem betrof­fe­nen Kind bei 350 Gebur­ten die häu­figste Ursa­che für geis­tige Behinderung. 

Tra­gisch ist, dass FASD zu 100% ver­meid­bar wäre. Die meis­ten Betrof­fe­nen sind ein Leben lang auf Hilfe ange­wie­sen, wobei die größ­ten Pro­bleme in der Bewäl­ti­gung des All­tags liegen.

Alko­hol in der Schwangerschaft

Alko­hol ist ein Zell­gift. Trinkt eine Frau in der Schwan­ger­schaft Alko­hol, gelangt die­ser über das müt­ter­li­che Blut durch Pla­zenta und Nabel­schnur unver­dünnt und unge­fil­tert zum Kind. Die­ses hat inner­halb weni­ger Minu­ten genauso viele Pro­mille wie seine Mutter.

Wäh­rend die Mut­ter einen Tag braucht, um den Alko­hol abzu­bauen, braucht der Embryo drei bis zehn Tage.

Wie äußert sich FASD?

Die oft nor­male Intel­li­genz steht nicht sel­ten im Wider­spruch zu Pro­ble­men der Betrof­fe­nen bezüg­lich der all­täg­li­chen Lebens­füh­rung, die auch als ter­tiäre Stö­run­gen bezeich­net wer­den. Als typi­sche Sym­ptome sind hier vor allem Labi­li­tät, Antriebs­ar­mut und Des­in­ter­esse sowie distanz­lo­ses oder ent­hemm­tes Ver­hal­ten in sozia­len Situa­tio­nen zu nen­nen. Pro­bleme lie­gen in den Berei­chen der schu­li­schen Aus­bil­dung, der Arbeits- sowie Wohn­si­tua­tion, des Selbst- und Fremd­wahr­neh­mung, der exe­ku­ti­ven Funk­tio­nen, des Sexu­al­ver­hal­tens und der psy­chi­schen Gesundheit. 

So tre­ten laut einer Ber­li­ner Längs­schnitt­stu­die Schul­wech­sel und Woh­nungs­lo­sig­keit ver­mehrt auf und nur 12 % der erwach­se­nen Ver­suchs­teil­neh­mer mit FASD waren zum Erhe­bungs­zeit­punkt erwerbs­tä­tig. Eben­falls auf­fäl­lig ist, dass FASD-Betroffene sowohl als Opfer als auch als Täter inner­halb des Straf­jus­tiz­we­sens häu­fi­ger in Erschei­nung tre­ten und über­durch­schnitt­lich oft Haft­stra­fen antre­ten müs­sen. Von den Betrof­fe­nen wer­den 80 % als nicht selbst­stän­dig lebens­fä­hig eingestuft. 

Kör­per­li­che Auswirkungen

  • Ent­wick­lungs­ver­zö­ge­run­gen
  • Faziale Auf­fäl­lig­kei­ten
  • Organdysfunktionen- oder Fehl­bil­dun­gen (Nie­ren, Herz oder Schilddrüse)
  • Anoma­li­tä­ten in peri­phe­ren Ner­ven, bei­spiels­weise Schmerzunempfindlichkeit 
  • Chro­ni­sche Mittelohrentzündung
  • Seh- und Hörbehinderungen 

Neu­ro­nale Auswirkungen

  • Kon­zen­tra­ti­ons­stö­run­gen
  • Beein­träch­ti­gung der Kognition
  • Rezep­tive Sprachdefizite 
  • Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten
  • Bin­dungs­stö­run­gen
  • Beein­träch­ti­gung bei der selbst­stän­di­gen All­tags­be­wäl­ti­gung (exe­ku­tive Funktionen)

Stö­run­gen der exe­ku­ti­ven Funktionen

Stö­run­gen der exe­ku­ti­ven Funk­tio­nen kön­nen als ein Kern­sym­ptom von FASD betrach­tet werden.

Unter exe­ku­ti­ven Funk­tio­nen wer­den All­tags­fä­hig­kei­ten ver­stan­den, die kogni­tive, emo­tio­nale und moti­va­tio­nale Kom­po­nen­ten beinhal­ten und sich als die­je­ni­gen höher geschal­te­ten men­ta­len Ope­ra­tio­nen zusam­men­fas­sen las­sen, die als Garant für ein selbst­be­stimm­tes Leben betrach­tet wer­den. Ihre Beein­träch­ti­gung gilt als eines der Kern­merk­male der Feta­len Alko­hol­spek­trums­tö­run­gen und wird oft­mals als Erklä­rung dafür her­an­ge­zo­gen, dass Betrof­fene weit hin­ter den an den IQ geknüpf­ten Erwar­tun­gen in ihrer Selb­stän­dig­keit zurückbleiben.

Was klappt nicht so gut?

  • Auf­merk­sam­keit
  • Ler­nen und Gedächtnis
  • Pla­nen
  • Fle­xi­bi­li­tät
  • Selbst­kon­trolle
  • Begrei­fen kom­ple­xer Zusammenhänge 

FASD bei Kindern

FASD-Erklärvideo

Das Erklärvideo gibt eine anschauliche Einführung in unser Thema und ist auch bei YouTube zu finden (eventuelle Nutzungsanfragen richten Sie bitte an ).

Geis­tige Flexibilität

Fähig­keit, fle­xi­bel zwi­schen Auf­ga­ben wech­seln zu kön­nen.
Max …

  • kann nur zöger­lich zwi­schen ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten wechseln.
  • kann jeweils nur eine Sache gleich­zei­tig machen. 
  • besteht auf bekannte Routine. 
  • bleibt einer Sichtweise/Lösung behaftet. 
  • ist schnell frus­triert und bekommt Wutanfälle.

Gedächt­nis­spei­cher

Fähig­keit, Infor­ma­tio­nen oder Wis­sen für den spä­te­ren Gebrauch zu spei­chern.
Max … 

  • ver­gisst bereits Erlern­tes (z.B. das Einmaleins).
  • hat Schwie­rig­kei­ten, sich an täg­li­che Ereig­nisse zu erinnern.
  • hat Schwie­rig­kei­ten, Infor­ma­tio­nen wie­der abzurufen.

Orga­ni­sa­tion

Fähig­keit, benö­tigte Mate­ria­lien oder Unter­la­gen zu beschaf­fen und zu behal­ten.
Max …

  • schließt Auf­ga­ben nicht ab, wird nicht fertig. 
  • ver­liert wich­tige Doku­mente, Zet­tel und per­sön­li­che Sachen. 
  • ent­wirft unrea­lis­ti­sche (Zeit-)Pläne.

Pla­nung & Reihenfolge

Fähig­keit zur Pla­nung von Teil­schrit­ten inkl. des Mate­ri­als und Zeit­auf­wan­des.
Fähig­keit Teil­schritte einer Auf­gabe in der rich­ti­gen Rei­hen­folge abzu­ar­bei­ten.
Max … 

  • lässt Teil­schritte bei kom­ple­xe­ren Auf­ga­ben aus.
  • han­delt spon­tan und unreflektiert. 
  • hat Pro­bleme, eine Geschichte in der rich­ti­gen Rei­hen­folge und logisch schlüs­sig zu erzählen.

Zeit­ma­nage­ment & Prioritäten

Fähig­keit Zeit ein­zu­tei­len, zu nut­zen und Rest­zei­ten ein­zu­schät­zen.
Fähig­keit Ter­mine und Tref­fen ein­zu­hal­ten.
Fähig­keit Vor­ran­gig­keit für Bedürf­nisse und Auf­ga­ben ein­zu­schät­zen.
Max … 

  • ver­schwen­det seine Zeit für schein­bar Unwichtiges.
  • hat Schwie­rig­kei­ten, sich wich­tige Punkte zu notieren.
  • ver­spä­tet sich zu Verabredungen.

Hem­mung (von Verhaltensweisen)

Fähig­keit nicht auf eine Ablen­kung zu reagie­ren bzw. sich von ihr wie­der abzu­wen­den.
Fähig­keit vor einer (Re-)Aktion nach­den­ken zu kön­nen.
Fähig­keit auf sofor­tige Beloh­nun­gen ver­zich­ten zu kön­nen, um wich­ti­gere, lang­fris­ti­gere Ziele zu errei­chen.
Max … 

  • erscheint leicht ablenk­bar und impulsiv. 
  • wählt lie­ber klei­nere Beloh­nun­gen, die er sofort erhält, statt auf grö­ßere zu warten. 
  • bringt sich oder andere in Gefahr, da er nicht in der Lage ist, die Fol­gen sei­nes Han­dels abzuschätzen.

Selbst­re­gu­la­tion

Fähig­keit, die eige­nen Gefühle zu regu­lie­ren, um ein Ziel zu errei­chen oder das Ver­hal­ten zu kon­trol­lie­ren.
Max …

  • zeigt in vie­len Situa­tio­nen unan­ge­mes­se­nes Ver­hal­ten oder überreagiert.

Auf­merk­sam­keit

Fähig­keit, die Auf­merk­sam­keit (und Anstren­gungs­be­reit­schaft) über einen län­ge­ren Zeit­raum auf­recht­zu­er­hal­ten.
Fähig­keit, die Auf­merk­sam­keit auf einen bestimm­ten Punkt rich­ten zu kön­nen.
Max …

  • kann sich für maxi­mal zehn Minu­ten auf eine Auf­gabe konzentrieren.
  • wird von Klei­nig­kei­ten abgelenkt.

Fokussierung

Fähig­keit, die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen aus der Umwelt zu fil­tern und unwich­tige Reize aus­blen­den zu kön­nen.
Max …

  • scheint wich­tige Infor­ma­tio­nen zur Been­di­gung einer Auf­gabe zu vergessen.
  • scheint nicht zu bemer­ken, dass er sein Ver­hal­ten an jewei­lige Situa­tio­nen anpas­sen muss.

FASD bei Erwachsenen

FASD ist keine geis­tige oder kör­per­li­che Behin­de­rung, die mit Ein­tritt in das Erwach­se­nen­al­ter verschwindet. 

Pro­blem: man­gel­hafte Datenlage

Den­noch gibt es bis dato welt­weit keine Erhe­bun­gen, die die Häu­fig­keit von FASD bei Erwach­se­nen unter­su­chen (Popova et al., 2017). Auf­grund der nicht vor­han­de­nen Daten von Erwach­se­nen mit FASD, wird diese Behin­de­rung in der Gesell­schaft über­wie­gend nicht wahr­ge­nom­men. Die Fol­gen sind schwer­wie­gend: Es gibt keine ange­mes­sene Ver­sor­gung von Erwach­se­nen mit FASD. Sie ste­hen mit den Aus­wir­kun­gen ihrer Behin­de­rung, wie bei­spiels­weise eine extrem kurze Auf­merk­sam­keits­spanne, einer meist enor­men Ein­schrän­kung ihrer Pla­nungs­kom­pe­tenz (exe­ku­tive Funk­tio­nen), sowie einer Reihe von Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten, die gerne falsch inter­pre­tiert wer­den, im all­täg­li­chen Leben alleine da.

Pro­blem: unko­or­di­nierte Hilfe

Statt­des­sen quä­len sich viele Erwach­sene mit FASD – falls sie über­haupt Hilfe suchen oder gar erken­nen, dass sie wel­che brau­chen – durch eine schier end­lose Pro­ze­dur von Arzt­ter­mi­nen der unter­schied­lichs­ten Fach­rich­tun­gen, bekom­men nicht sel­ten fal­sche Medi­ka­mente ver­ord­net und wer­den unpas­sen­den the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men unter­zo­gen. Das gilt beson­ders, wenn sie sich auf­grund kom­or­bi­der (beglei­ten­der) psy­chi­scher Pro­bleme in psych­ia­tri­sche Behand­lung bege­ben müs­sen, was eben­falls häu­fig vor­kommt. Die dann meist wie­der­keh­ren­den Auf­ent­halte in psych­ia­tri­schen Kli­ni­ken, meist ohne the­ra­peu­ti­sche Fort­schritte, wer­den dann vor allem mit feh­len­der Krank­heits­ein­sicht, man­geln­der Koope­ra­tion oder Moti­va­tion erklärt oder ohne wei­tere Suche nach ande­ren Ursa­chen hingenommen.

So ent­ste­hen die soge­nann­ten Dreh­tür­pa­ti­en­ten. Ame­ri­ka­ni­sche Stu­dien kom­men zu dem Ergeb­nis, dass der Anteil von FASD-Betroffenen an die­ser Pati­en­ten­gruppe erschre­ckend hoch ist. Aber auch dort wird die Rele­vanz von FASD bei psy­chi­schen Erkran­kun­gen nicht gese­hen. Die­ser Miss­stand erklärt sich größ­ten­teils aus der feh­len­den Wis­sens­ver­mitt­lung zu FASD bei der Aus­bil­dung zu allen medi­zi­ni­schen, sozia­len und juris­ti­schen Berufen.

Wei­tere Infor­ma­tio­nen zu die­sem Thema fin­den Sie auf unse­rer Seite zur Rele­vanz von FASD bei psy­chi­schen Problemen.

Pro­blem: recht­li­che Hürden

Neben der all­ge­mei­nen Unwis­sen­heit über die Beson­der­hei­ten der kogni­ti­ven Ein­schrän­kun­gen bei FASD, ver­hin­dert aus­ge­rech­net die ansons­ten sehr fort­schritt­li­che Gesetz­ge­bung zum Recht auf Selbst­be­stim­mung eine sinn­volle Zusam­men­ar­beit. Ange­hö­rige von Betrof­fe­nen wis­sen, dass ihre Schütz­linge auf dau­er­hafte Beglei­tung und Unter­stüt­zung durch ver­traute Per­so­nen ange­wie­sen sind, quasi ein Sprach­rohr brau­chen, aber das wider­spricht aus Sicht von Ärz­ten, Sozi­al­päd­ago­gen und Betreu­ern den der­zei­ti­gen Grund­sät­zen, wie das Recht auf Selbst­be­stim­mung in der Pra­xis zu hand­ha­ben ist. Dem­entspre­chend wird ein sol­cher Bei­stand nur sehr ein­ge­schränkt zuge­las­sen. Obwohl inzwi­schen drei Klicks im Inter­net zu FASD jeden Inter­es­sier­ten dar­über auf­klä­ren wür­den, dass genau diese Ein­schrän­kun­gen sowie man­gelnde soge­nannte Com­pli­ance aus­ge­spro­chen typisch für FASD sind, hat sich daran bis­her nur wenig geän­dert. Ein bes­se­rer Umgang mit der Behin­de­rung kann des­halb weder bei den Betrof­fe­nen selbst, noch in ihrem sozia­len Umfeld erreicht wer­den. Viele mög­li­che Hil­fen schei­tern schon in der Anbahnung.

Ergeb­nis: Ekla­tante Versorgungslücke

Zusam­men­fas­send kann man sagen, wei­sen die genann­ten Umstände der Fehl­ein­schät­zung und Unter­ver­sor­gung bei Erwach­se­nen mit FASD auf eine ekla­tante Ver­sor­gungs­lü­cke hin, mit weit­rei­chen­den Fol­gen für alle Betei­lig­ten. Die man­gelnde Aus­bil­dung von Fach­per­so­nal tut dazu ihr Übri­ges. Die Fol­gen sind, dass die große Mehr­heit der Erwach­se­nen mit FASD unter pre­kä­ren Bedin­gun­gen leben, nicht sel­ten in Obdach­lo­sig­keit enden, von Lang­zeit­ar­beits­lo­sig­keit bedroht sind oder sogar straf­fäl­lig wer­den. Eine gleich­be­rech­tigte Teil­habe, wie sie der Gesetz­ge­ber inzwi­schen vor­sieht, sieht anders aus. 

Wäh­rend sich die Ver­sor­gungs­si­tua­tion von Kin­dern, Jugend­li­chen und Her­an­wach­sen­den ver­bes­sern konnte, ist für Erwach­sene mit FASD die Versorgungs- und Betreu­ungs­si­tua­tion noch unzu­rei­chend. Sie leben oft mit einer Fehl­dia­gnose und des­halb falsch behan­delt in Ein­rich­tun­gen der Behindertenhilfe/Eingliederungshilfe, in Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten oder in der Woh­nungs­lo­sen­hilfe bzw. sind obdachlos. 

Natio­na­ler Akti­ons­plan der Bun­des­re­gie­rung UN-Behindertenrechtskonvention

Wir behaup­ten, dass das Schlie­ßen die­ser Ver­sor­gungs­lü­cke nicht nur die Lebens­um­stände der Erwach­se­nen mit FASD und ihres sozia­len Umfelds ver­bes­sern, son­dern auch die gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Kos­ten sen­ken würde, die durch (lebens­lange) Trans­fer­leis­tun­gen, größ­ten­teils schei­ternde Maß­nah­men, sowie unge­eig­nete und auf­wen­dige psych­ia­tri­sche und medi­zi­ni­sche Leis­tun­gen entstehen. 

Dia­gnose und Test von FASD

Die FASD-Diagnostik kann meist nur im Kin­des­al­ter oder bei bekann­tem Alko­hol­kon­sum der leib­li­chen Mut­ter wäh­rend der Schwan­ger­schaft gestellt wer­den. Wenn nicht bekannt ist, ob die Mut­ter wäh­rend der Schwan­ger­schaft Alko­hol kon­su­miert hat, soll­ten zwei der fol­gen­den Kri­te­rien vorliegen: 

  • Vor- und nach­ge­burt­li­che Wachstumsstörung 
  • Dys­funk­tion des ZNS (Stö­rung des Zentralnervensystems) 
  • Cha­rak­te­ris­ti­sche Gesichtsveränderungen

Die äußer­li­chen Merk­male von FASD sind nur im Kin­des­al­ter gut zu erken­nen, weil sich diese bei Erwach­se­nen ver­min­dern. Sollte ein Kind keine äuße­ren Anzei­chen von FASD haben, heißt dies nicht, dass kein FASD vor­liegt. FASD kann auch anhand von Ent­wick­lungs­stö­run­gen, Sprach- und Hör­stö­run­gen, Intel­li­genz­min­de­rung, Hyper­ak­ti­vi­tät, Autis­mus und vie­len ande­ren phy­si­schen und psy­chi­schen Merk­ma­len erkannt werden.

Es kommt nicht sel­ten zu Fehl­dia­gno­sen auf­grund nicht erkann­ter FASD. Bei den mil­de­ren FASD-Ausprägungen zeigt das Syn­drom prak­tisch die glei­chen Sym­ptome wie bei ADHS, also stän­dige moto­ri­sche Unruhe, Ner­vo­si­tät, sehr kurz­fris­ti­ges Inter­esse an einer Auf­gabe oder schnel­ler Wech­sel von einem Spiel­zeug zum nächs­ten, Unge­hemmt­heit und Impul­si­vi­tät im Sozialverhalten.

FASD-Diagnosen für Kinder

Sie fin­den unten eine Liste von FASD-Fachzentren, Kli­ni­ken und Ärz­ten in Deutsch­land. Die meis­ten die­ser Ein­rich­tung sind auf die Dia­gnose und Behand­lung von Kin­dern spezialisiert.

Download: Liste von FASD-Fachzentren und Fachärzten

FASD-Diagnosen für Erwachsene

Inzwi­schen gibt es auch Dia­gno­se­mög­lich­kei­ten für Erwach­sene: die FASD-Sprechstunde des Son­nen­hof  e.V. in Ber­lin, die FAS-Ambulanz der Tages­kli­nik Wals­tedde und das LVR-Klinikum in Essen.

Auch das FASD-Fachzentrum Ham­burg plant mit­tel­fris­tig für Ham­burg, eine Dia­gno­se­stelle für Erwach­sene mit ent­spre­chen­den Betreu­ungs­an­ge­bo­ten einzurichten. 

FASD-Diagnosen aus medi­zi­ni­scher Sicht

Die ärzt­li­che Auf­gabe ist es zunächst ein­mal die Dia­gnose FASD sicher fest­zu­stel­len. Erst wenn diese gestellt ist, kann man Anga­ben zu The­ra­pie und Ver­lauf machen und vor allen Din­gen die Eltern und Pfle­ge­fa­mi­lien ent­las­ten, da es nun erst­mals eine Erklä­rung für Ver­hal­tens­wei­sen und Schwie­rig­kei­ten des Kin­des oder Jugend­li­chen gibt.

Die Dia­gnose „FASD“ wird anhand der Dia­gno­se­kri­te­rien der S3-Leitlinie [Land­graf, Hei­nen, 2016] gestellt.
Diese ori­en­tiert sich an dem soge­nann­ten 4‑digit-Code, der bis Anfang 2016 der Diagnose-Standard auch in Deutsch­land war. Im Wesent­li­chen gibt es 4 Dia­gno­se­kri­te­rien, an den sich der Arzt ori­en­tiert und die es ihm ermög­li­chen die fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD) zu klassifizieren.

Fol­gende Dia­gno­se­kri­te­rien sind bei der Dia­gnos­tik relevant:

  1. Wachs­tums­stö­run­gen zu irgend­ei­nem Zeit­punkt der Entwicklung.
  2. Gesichts­auf­fäl­lig­kei­ten.
    Schma­les Ober­lip­pen­rot, ver­stri­che­nes Phil­t­rum, schmale Lid­spal­ten – diese sind mög­li­cher­weise in der Säuglings- und Klein­kind­zeit deut­li­cher sicht­bar und unter­lie­gen im Laufe der Ent­wick­lung star­ken Ver­än­de­run­gen. Daher soll­ten zur Dia­gnos­tik immer Kin­der­bil­der mit­ge­bracht werden.
  3. Auf­fäl­lig­kei­ten im zen­tra­len Ner­ven­sys­tem (ZNS).
    Hier gibt es eine Reihe mög­li­cher Auf­fäl­lig­kei­ten. Man unter­schei­det Haupt- und Neben­kri­te­rien. Als Haupt­kri­te­rien fun­gie­ren: Intel­li­genz­min­de­rung, Epi­lep­sie und ein zu klei­ner Kopf­um­fang (Mikro­ze­pha­lie). Neben­kri­te­rien sind bei­spiels­weise signi­fi­kante Leis­tungs­be­ein­träch­ti­gun­gen in der Sprach­ent­wick­lung, der Fein­mo­to­rik, der Auf­merk­sam­keit, der exe­ku­ti­ven Funk­tio­nen, der sozia­len Fer­tig­kei­ten. Haupt- und Neben­kri­te­rien haben eine unter­schied­li­che Gewichtung.
  4. Alko­hol­kon­sum in der Schwan­ger­schaft.
    Bei dem Kri­te­rium des gesi­cher­ten Alko­hol­kon­sums gibt es viele Unsi­cher­hei­ten. Die­ses kann zum einen damit zusam­men, dass man schlicht­weg nie­man­den fra­gen kann, da die leib­li­chen Eltern nicht greif­bar sind, wenn sie bei­spiels­weise im Aus­land leben und das Kind oder der Jugend­li­che adop­tiert ist. Zum Ande­ren wird der Alko­hol­kon­sum aus Grün­den der Scham ver­neint. Die deut­schen S3-Leitlinien haben die­sen Umstand berück­sich­tigt und geben die Mög­lich­keit den Alko­hol­kon­sum als „mög­lich“ oder „wahr­schein­lich“ ein­zu­stu­fen und den­noch die Dia­gnose FASD zu stellen.

Die ärzt­li­che Dia­gnos­tik erfor­dert neben der gründ­li­chen Ana­mnese, die manch­mal lei­der lücken­haft ist, einige neu­ro­psy­cho­lo­gi­sche Tes­tun­gen. Fra­ge­bö­gen zum Ver­hal­ten des Kin­des /Jugendlichen in ver­schie­de­nen Lebens­be­rei­chen unter­stüt­zen die Dia­gnos­tik. Dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch spie­len mit­un­ter gene­ti­sche Stö­run­gen oder Syn­drome eine Rolle. In die­sen Fäl­len ist eine human­ge­ne­ti­sche Unter­su­chung unver­zicht­bar. Zudem sollte ein ärzt­li­cher Blick auf Augen, Herz und Niere erfol­gen, da der Alko­hol in der Schwan­ger­schaft auch diese Organe schä­di­gen kann.

Je nach­dem, wel­che Dia­gno­se­kri­te­rien erfüllt sind, kann eine Klas­si­fi­ka­tion der feta­len Alkohol-Spektrum-Störung (FASD) in das 

  1. Voll­bild feta­les Alko­hol­syn­drom (FAS),
  2. das par­ti­elle fetale Alko­hol­syn­drom (pFAS) oder
  3. die alko­hol­be­dingte neu­ro­lo­gi­sche Ent­wick­lungs­stö­rung (ARND)

erfol­gen.

Dabei ist ganz wich­tig zu wis­sen, dass bei­spiels­weise das par­ti­elle fetale Alko­hol­syn­drom (pFAS) NICHT die milde, abge­schwächte Form des Voll­bil­des (FAS) ist. Die Klas­si­fi­ka­tion sagt ledig­lich aus, dass ent­we­der alle 4 oder nur 3 oder 2 Dia­gno­se­kri­te­rien erfüllt sind.

Die Klas­si­fi­ka­tion macht auch keine Aus­sa­gen zu Pfle­ge­auf­wand und Grad der Behin­de­rung (GdB).

Die ärzt­lich gestellte Dia­gnose ist für die Ent­las­tung der Kin­der und Jugend­li­chen sowie deren Fami­lien, für die The­ra­pie­pla­nung, Aus­wahl der Schul­form und die staat­li­che Unter­stüt­zung (Jugend­hilfe, Ein­glie­de­rungs­hilfe) enorm wich­tig und gehört in erfah­rene Hände. Opti­mal ist bei der wei­te­ren Betreu­ung ein mul­ti­pro­fes­sio­nel­les Team, dem neben Ärz­ten auch FASD-erfahrene Päd­ago­gen und Psy­cho­lo­gen angehören.

Alko­hol­em­bryo­pa­thie, Feta­les Alko­hol­syn­drom oder Feta­ler Alkoholeffekt?

Kurze Erläu­te­rung der im Zusam­men­hang mit alko­hol­be­ding­ten Schä­di­gun­gen und Behin­de­run­gen ver­wen­de­ten Begriffe.

Venn Diagramm mit überlappenden Kreisemn zur Illustration der FASD Begriffe
Diagnostische Kriterien innerhalb des FASD-Kontinuums (nach IOM 1996)

Feta­les Alko­hol­syn­drom (FAS)

Das Fetale Alko­hol­syn­drom (FAS) oder Alko­hol­em­bryo­pa­thie (AE), bezeich­net die irrever­si­ble, toxi­sche Schä­di­gung eines Emryos durch auf­ge­nom­me­nen Alko­hol. Syn­drom wird ein Krank­heits­bild genannt, unter dem sich viel ver­schie­dene Sym­ptome und Aus­prä­gun­gen ein­ord­nen las­sen, des­sen Zusam­men­hänge aber zum Teil nicht bekannt sind. 

Alko­hol­em­bryo­pa­thie (AE)

Die Klas­si­fi­ka­tion nach ICD-10 in der Kate­go­rie ange­bo­rene Fehl­bil­dungs­syn­drome durch bekannte äußere Ursa­che erfolgte bis­her ledig­lich als Q86.0 – Alko­hol­em­bryo­pa­thie (AE) – ohne wei­tere Differenzierung.

Die ICD-11 wurde am Mai 2019 durch die Welt­ge­sund­heits­ver­samm­lung (Word Health Assem­bly, WHA) ver­ab­schie­det und tritt am 1. Januar 2022 in Kraft. Hierin wird das Fetale Alko­hol­syn­drom zum ers­ten Mal so genannt und seine Erschei­nungs­for­men dif­fe­ren­ziert. Im ICD-11 ist eine Reform die­ses Begriffs unter Nen­nung der heute übli­chen Bezeich­nung FASD vor­ge­se­hen, aller­dings fehlt immer noch die Unter­tei­lung in pFAS und ARND. 

Par­ti­el­les Alko­hol­syn­drom (pFAS)

Das par­ti­elle Alko­hol­syn­drom (pFAS) lässt sich als Kom­plex embryo­to­xisch ent­stan­de­ner, alko­hol­be­ding­ter, zere­bra­ler Leis­tungs­stö­run­gen defi­nie­ren, die auch ohne das Gesamt­bild der typi­schen kör­per­li­chen Merk­male auf­tre­ten. Das heißt aber nicht, dass die Aus­wir­kun­gen für Betrof­fene weni­ger gra­vie­rend sind. 

Alko­hol­be­dingte Geburts­feh­ler (ARBD)

Mit ARBD (alco­hol rela­ted birth defects) wer­den Schä­di­gun­gen an Orga­nen und andere kör­per­li­che Fehl­bil­dun­gen (Dys­mor­phien) bezeich­net. Vor­aus­set­zung für diese Dia­gnose ist ein beleg­ter Alko­hol­kon­sum der Mutter.

Ist die Organ­bil­dung beim Kind zum Zeit­punkt des Alko­hol­kon­sums bereits abge­schlos­sen, ent­ste­hen keine oder nur geringe kör­per­li­che Fehl­bil­dun­gen. Trotz­dem kann das Zen­tral­ner­ven­sys­tem geschä­digt wer­den, mit kogni­ti­ven und ver­hal­tens­be­zo­ge­nen Stö­run­gen des Kindes. 

Alko­hol­be­dingte neu­ro­lo­gi­sche Ent­wick­lungs­stö­rung (ARND)

ARND (alcohol-related neu­ro­de­ve­lo­p­men­tal dis­or­der) bezeich­net die Schä­di­gun­gen, die haupt­säch­lich das zen­trale Ner­ven­sys­tem (ZNS) betref­fen. Eine ältere Bezeich­nung dafür lau­tet Feta­ler Alko­hol­ef­fekt (FAE). Vor­aus­set­zung für diese Dia­gnose ist eben­falls ein beleg­ter Alko­hol­kon­sum der Mutter.

Hier sind nicht die phy­si­schen Fehl­bil­dun­gen, son­dern die Dys­funk­tio­nen des Zen­tral­ner­ven­sys­tems sym­pto­ma­tisch. Min­des­tens eine der fol­gen­den zen­tral­ner­vö­sen Stö­rung muss vorliegen: 

  • ein klei­ner Kopf, 
  • Hirn­an­oma­lien,
  • eine schlecht aus­ge­prägte Feinmotorik, 
  • Hör­pro­bleme oder ein 
  • auf­fäl­li­ger Gang. 

Außer­dem kön­nen Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten, wie schlechte Schul­leis­tun­gen, defi­zi­täre Sprach­fer­tig­kei­ten, Pro­bleme im abs­trak­ten Den­ken und in Mathe­ma­tik, geringe Impuls­kon­trolle, ein schlech­tes Sozi­al­ver­hal­ten sowie Konzentrations‑, Gedächtnis- und Beur­tei­lungs­pro­ble­ma­ti­ken auftreten. 

Eine prak­ti­sche und kli­nisch über­zeu­gende Defi­ni­tion die­ser Schä­di­gungs­bil­der fehlt, allen­falls die­nen sie als Auf­fang­ka­te­go­rien. Sinn­vol­ler wird in Zukunft eine Dia­gnos­tik ganz unab­hän­gig von kör­per­li­cher Sym­pto­ma­tik sein. Auch hier heißt das nicht, das damit die Aus­wir­kun­gen für Betrof­fene weni­ger gra­vie­rend sind.

Fetale Alko­hol­spek­trums­tö­rung (FASD)

Da die Gren­zen zwi­schen FAS, FAE, pFAS, ARND und ARBD flie­ßend sind, wer­den heute alle Dia­gno­sen unter dem Sam­mel­be­griff Fetal Alco­hol Spec­trum Dis­or­der (FASD), auf Deutsch Fetale Alko­hol­spek­trums­tö­rung, zusammengefasst.

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